Unser herrlich verrücktes Leben selbst ist das Basismaterial der Lyrik von Jörg Schieke. Schon in seinem Debüt „Die Rosen zitieren die Adern“ (Druckhaus Galrev, 1995) kündigt sich ein melancholischhumorvoller Ton an, der in der oft bierernsten deutschen Gegenwartsdichtung auffällt. Dass der Autor lange vor der Rückkehr des Krieges nach Europa seine Grundwehrdienstzeit in der NVA reflektiert, ist ein Störton, der den Abend an manchen Stellen fast ins Kippen bringt. Dennoch hat Schieke mit der Musikjournalistin, Autorin und Fotografin Juliane Liebert („lieder an das große nichts“, Suhrkamp 2021) vermutlich eine Geistesverwandte eingeladen. Wenn die Schatten zwischen Grafikschränken und Apothekervitrinen in der Alten Post länger werden, haben auch Marianne Faithfull, diverse Battlerapper und Christa Päffgen aka Nico ihren Auftritt.
Innerhalb einer Oktober-Woche bringt der Literarische Herbst die ganze Bandbreite dessen auf Leipzigs Bühnen, was Literatur will und kann - kühn und poetisch, literarisch klug, politisch. Das reicht vom Gipfeltreffen der besten Debütantinnen und Debütanten des Jahres im Ostpassage-Theater bis zur Lyrikpräsentation im privaten Wohnzimmer, vom prominent besetzten Krimiabend bis zur popkulturellen Grenzüberschreitung im UT Connewitz. Dabei gilt: Gute Bücher kennen kein Verfallsdatum! Mit den Herbst Tapes, präsentiert von der in Leipzig lebenden Autorin Isabelle Lehn, lassen sich einige der spannendsten Lesungen und Gespräche des letztjährigen Festivals nachhören.